Zur selben Zeit, als Katzenoma Suzy im Tierheim abgegeben werden musste, weil sich niemand mehr um sie kümmern konnte, beschlossen mein Sohn und ich einer Samtpfote ein Zuhause zu geben. Gerne etwas älter (Ü 10) und von eher grazilem Körperbau – es soll ja nicht die gesamte Nachbarschaft im hellhörigen Wohnblock zusammenschrecken, wenn der Stubentiger vom Kratzbaum springt …..

Die praktische Umsetzung der Idee begann mit einem kurzen Blick auf die Internetseiten der regionalen Tierschützer, die sich als sehr engagiert erwiesen, denn pro Tierheim gab es nur ein oder höchstens zwei vom Alter her in Frage kommende Wohnungskatzen.

Hängen blieb der Blick an der Beschreibung und den Fotos von Suzy, die sich so empfehlen ließ: “Suzy ist eine ältere, ganz ruhige und verschmuste Katzendame, die wenig Ansprüche stellt.“. Und dann war da noch dieser schmale schwarze Fellfleck unterhalb ihres linken Auges, der aussah wie ein fehlgegangener Pinselstrich ………

Ins Tierheim fuhr ich an einem Freitag, trug meinen Wunsch nach einer älteren Wohnungskatze vor und bekam als erstes den dringendsten Notfall gezeigt, den ich aber als zu jung (5 Jahre) und zu groß (Prachtkater) für mich bereits ausgeschlossen hatte.

Meine Frage nach Suzy löste dann etwas Verwirrung aus, denn die präsentierte sich der Tierpflegerin im Alltag vollkommen anders als im Internet beschrieben – und am Vortag sei Suzy auch noch wegen einer Zubildung auf dem Nasenrücken operiert worden, trug also Trichter und war keinesfalls besser gestimmt als ohne hin schon seit ihrer Ankunft. 


Beim Reingehen in den Raum, in dem Suzy lebte, erhaschte ich einen Blick auf die Beschreibung an der Tür – „scheu“ stand da, was auch so gar nicht zu dem im Internet Gelesenen passte. Suzy befand sich im Außenbereich und wie es einer frisch operierten Katze zusteht, begaben sich Pflegerin und Interessenten im Gänsemarsch ums halbe Gebäude rum dorthin.

Die Pflegerin erzählte unterwegs ganz offen, dass sie Suzy bisher noch nie hatte rumlaufen oder fressen sehen und dass sie vermutlich alles wäre, nur eben keine wirkliche Schmusekatze. Jetzt war ich wirklich neugierig auf die Widersprüchliche geworden, die sich in einer Schlafhöhle befand und ein absolutes Null-Interesse an uns Zweibeinern zeigte.

So gewinnt man wahrlich keine Interessenten für sich – aber wer öfter in Tierheimen ist, der spürt die verzweifelte stille Resignation hinter dieser Haltung und ahnt, dass sich hier ein Tier langsam aufgibt …..

Ich blieb eben so stoisch bei Suzy sitzen wie sie verbissen in die Ecke starrte und strich vorsichtig mit den Fingern über den mageren struppigen Körper, so wirklich viel Ähnlichkeit mit ihren Vermittlungs-Fotos hatte sie nicht mehr. 

Nach einer halben Stunde war ich ihr zumindest einen kurzen Blick wert und bald darauf entspannte sie sich ein wenig, schnurrte hin und wieder leise, zeigte sich aber insgesamt sehr geräuschsensibel, kurz die Lautstärke eines Tierheims musste für sie der Supergau sein …dass ich irgendwann aufstand und ging, entlockte Suzy keinerlei Reaktion, Menschen kamen und gingen an diesem Ort nun mal.

 Am nächsten Tag habe ich Suzy erneut besucht, die wieder im Außengehege in einem Korb liegend in eine Ecke starrte und sie nach Absprache mit der Tierheimleitung dann zur Pflege mitgenommen. 

Vollkommen teilnahmslos ließ sich Suzy vom Korb in eine Transportbox schieben und während der gesamten Autofahrt war kein Ton zu hören – Zeit sich auf alles gefasst zu machen und zu Hause zunächst alle Fenster zu verschließen bevor die Box geöffnet wurde.

Mit der ruhigen Lässigkeit der Vielreisenden entstieg Suzy samt Trichter ihrer Box und warf huldvoll (und sich vergewissernd, dass sie die volle Aufmerksamkeit der Anwesenden hatte) einen ersten abschätzenden Blick aufs neue Heim, das zumindest nicht auf Anhieb durchfiel. Vorsichtig, aber alles andere als ängstlich, glitt Suzy dann an der Wand den Flur entlang und entschwand – schwups – unters erste Bett.

Wer nun glaubt, da hätte sie sich jetzt eingenistet (oder gar verschanzt), der irrt: zu meinem größten Erstaunen schritt Suzy schon nach Sekunden zur kompletten Wohnungsbesichtigung, sehr leise und immer vorsichtig in Wandnähe die Räume mehr umkreisend, denn in Beschlag nehmend. Je weiter sie vordrang, desto entspannter schien sie zu werden und war bei Erkundung der Küche relaxt genug, Wasser und Futter zu kosten. 

Sein Ende fand der Rundgang unter dem Bett, wo er auch begonnen hatte, nur jetzt richtete sich Suzy dort fürs erste häuslich ein, den betrichterten Kopf wieder wie im Tierheim fest in die Ecke gedrückt schlief sie da unten hinten ein und schlief und schlief und schlief …..

Beim nächsten Rundgang wurde es bereits laut, energisch wurde dieses und jenes kräftig maunzend kommentiert und jedwede Antwort begeistert als Anlass für weitere Kommunikation genommen – es versprach heiter zu werden….

 

Am Folgetag sah ich belustigt einer Suzy zu, die sich trotz Trichter energisch einen Weg zwischen den Kissen durch unter die Bettdecke suchte und für Stunden dort verschwunden blieb. Zwei Tage später hatte sie den ersten Spannbettbezug in ein Sieb verwandelt und wir „rückten ein wenig zusammen“, was die Aktivitäten „unter Tage“ anging.

Scheu? nicht im Geringsten, hemmungslos wickelt sich Suzy um jedes Bein, das sie erwischen kann und hat beim Schmusen mehr Ausdauer als jeder hier lebende Zweibeiner.
Und keine Ansprüche? Mitnichten, Suzy lässt jede Mäkelprinzessin vor Neid erblassen …

Was mit Trichter noch relativ gebremst unterwegs war, sauste schon in der Nacht nach dem Fädenziehen wie „s’brennt“ durch die Wohnung, Kratzbaum hoch, rums runter, hoppel-hoppel über den Flur, ins hintere Zimmer, dort über’s Sitzmöbel, wieder raus auf den Flur und schier die Kurve nicht bekommen, da ganz kurz die Tür mit der Schulter touchiert, den Gang hinter, einmal quer übers Bett (das faule Personal hochschrecken), über Schreibtisch und Fensterbrett wieder runter auf den Boden und Galopp über den Flur in Richtung Wohnzimmer, auf dessen glatten Boden es sich herrlich rutschen lässt und wieder raus auf den Kratzbaum und ………

Und mit jedem Tag wird mehr klar: nicht wir haben Suzy ein Zuhause gegeben, sondern werden gnädig von Suzy mit ihrer Anwesenheit bedacht und erhalten ihren Launen entsprechend mehr oder minder viel Aufmerksamkeit.

Wirklich voll aufgehen tut Suzy in den Rollen, die sie jeweils einnimmt, so überzeugend und inbrünstig, wie sie im Tierheim die Scheue oder auch die Verzweifelte gab, ist sie am vollen, aber falsch bestückten Futternapf die von völliger Auszehrung glaubhaft Bedrohte, gibt bald darauf schnurrend die innig liebend-Dahinschmelzende, um sich ebenso rasch in die eigenbrötlerisch-abweisende Fremdlerin zu wandeln ……..

Als Zweibeiner gäbe es wohl keinen Preis für schauspielerische Leistung, den sie nicht zu erringen in der Lage wäre und wir alle hoffen, dass Suzy noch recht viele Vorstellungen geben kann, da die Zubildung auf ihrem Nasenrücken bösartig war und nicht im Gesunden entfernt werden konnte.

Die Erfolgsgeschichte von Suzy 🙂